Hallo Maike,
ok, interessant... also die ganze Problematik bestätigt meiner Meinung nach das, was Lehtonen & Falck in ihrem "Watery Varieties"-Paper betonen:
http://www.isentio.com/downloads/Lehton ... tal_FP.pdf
und was ich ähnlich schon 2007 auf dem Göttinger Wasserpflanzensymposium versucht habe darzustellen:
(1) Wissenschaftliche Taxonomie (gemäß dem internationalen botanischen Nomenklaturcode, ICBN)
und
(2) ein Benennungssystem für kultivierte Pflanzen, das den Gärtnern, Händlern, Hobbyisten - ich nenne sie zusammen mal: Pflanzenkultivierern - wirklich nützt (=> "Cultonomy"),
sind zwei verschiedene Dinge und sollten immer unterschieden werden.
(2) hängt zwar von (1) ab, aber (1) allein kann niemals die Erwartungen der Pflanzenkultivierer ganz erfüllen. (1) kann immer nur einen groben (und leider auch veränderlichen) Rahmen abstecken, in dem (2) für die "Feinjustierung" sorgt.
Der Gegenstand der wissenschaftlichen Taxonomen sind in erster Linie
natürliche Pflanzenvorkommen. Die Taxonomen werden ohne "Lumping" nicht auskommen. Wenn man in irgendeiner Gegend Biodiversitäts-Erfassungen durchführen will, nützen Taxa nichts, die man in der Natur oder im Herbarium nicht sicher identifizieren kann, etwa weil es alle möglichen Übergangsformen zwischen den beschriebenen Taxa gibt, oder weil man vor Ort oder bei den Herbarexemplaren nicht sagen kann, ob z.B. Größenunterschiede nur umweltbedingt oder auch genetisch fixiert sind.
Die Taxonomen werden daran gemessen, ob sich ihre Ergebnisse verifizieren lassen, also ob die Praktiker das, was sie in der
Natur bzw. im Herbarium wirklich unterscheiden können, mit Hilfe der Bestimmungsschlüssel und Taxon-Beschreibungen sicher benennen können.
Pflanzenkultivierer dagegen sind
notwendigerweise "Splitter". Da werden kleine Unterschiede zwischen einzelnen Klonen wichtig, die für die Taxonomen nicht relevant sind, weil sie sich wissenschaftlich-taxonomisch nicht seriös fassen lassen.
Etwa ob verschiedene Klone der gleichen Art in Kultur gut oder schlecht wachsen oder sich unter gleichen Bedingungen hellbraun oder dunkelbraun färben.
Was für die Pflanzenkultivierer relevant ist, sind kleinste Einheiten von Pflanzen, die
unter gleichen Kulturbedingungen wirklich einheitlich sind. Und die Kultivierer sind zu Recht daran interessiert, dass diese kleinsten Einheiten spezifische Namen bekommen und dass es Referenzen gibt, mit denen man sie identifizieren kann.
Wenn aber ein Pflanzenkultivierer solch eine kleinste Einheit z.B. als Varietät einer Art wissenschaftlich beschreibt (also wissenschaftliche Taxonomie gemäß dem ICBN zur spezifischen Benennung nutzt), ist das Risiko groß, dass irgendein böser Taxonom diese Varietät mit der Art synonymisieren wird
Die passende Kategorie für solche kleinsten kultivierten Einheiten wäre eigentlich nur die
Sorte = Cultivar (für die es den Internationalen Code der Nomenklatur der Kulturpflanzen, ICNCP, gibt).
Nun sind aber wohl die meisten kultivierten Cryptocorynen Wildformen und wurden nicht durch Züchtung (Aussaat + Selektion, Kreuzung usw.) verändert. Die gleichen Klone existieren evtl. noch an den Fundorten in der Natur. Daher kann man einwenden, dass "Sorte" nicht passt. Wissenschaftliche Taxonomie zur feinen Unterscheidung ist hier aber auch fehl am Platz, siehe oben. Und schon wenn einer von mehreren Klonen vom natürl. Fundort in Kultur genommen wird, findet Selektion statt. (Lehtonen & Falck: "Human-driven evolution" der kultivierten Pflanzen)
Und eine einzelne natürliche Population repräsentiert ja genauso wenig wie eine kultivierte Population eine "Art". Eine kultivierte Pflanze kann zwar zu einer bestimmten Art
gehören, aber ist nicht gleichzusetzen mit ihr. "Art", "Unterart", "Varietät" usw. sind immer nur vom Menschen gemachte Abstraktionen.
Jedenfalls, für die feine Unterscheidung von kultivierten Pflanzen muss die wissenschaftliche Taxonomie ergänzt werden durch das, was Lehtonen & Falck "Cultonomy" nennen.
Gruß
Heiko